Interview mit Dr. Susanne Hofmeister - Thema Wechseljahre

Wechseljahre – von der ewigen Prinzessin zur charismatischen Königin.

Wie anstrengend, die Zeit anhalten zu wollen. Und wie vergeblich. Dr. Susanne Hofmeister, anthroposophische Ärztin und Expertin für Biografiearbeit, lenkt den Blick auf eine neue Rolle, die mit den Wechseljahren frei wird: die der charismatischen Königin. Um in diese Rolle zu schlüpfen, müssen wir uns eigentlich nur selbst die Krone aufsetzen. Aber der Reihe nach.

Frau Hofmeister, warum gibt es Wechseljahre überhaupt? Und wann ist der Beginn der Wechseljahre?

Wechseljahre geben dem Leben eine neue Qualität. Und damit meine ich jetzt nicht Falten, Hitzewallungen und das Ende der Fruchtbarkeit. Das alles sind Begleiterscheinungen eines Lebensabschnitts, der in der Regel mit Mitte/Ende 40 beginnt und sich bis Mitte/Ende 50 hinziehen kann. Manche Frauen kommen eher in die Wechseljahre, die meisten Männer deutlich später. Was viel spannender ist: In der Zeit nach der Lebensmitte entscheidet sich, ob meine geistigen Kräfte analog zu meinen körperlichen Kräften abnehmen oder ob ich mich mit den neuen, freiwerdenden Kräften verbinden und weiterentwickeln kann.

„Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, stagniere ich, und mit dem Älterwerden setzt dann eine Rückwärtsbewegung ein. Dabei kann Älterwerden auch bedeuten, dass ich mich zu mir hin entwickle und mein eigenes Potenzial ausschöpfe.“ Susanne Hofmeister

 

Sie sehen die Wechseljahre also als Entwicklungsraum?

Ja, zumindest sehe ich die Chance dafür. Schauen wir kurz auf die Lebensabschnitte, die den Wechsel ankündigen und ausmachen. Die Biografiearbeit teilt das Leben in 7-Jahres-Schritte ein. Uns interessieren also die Jahrsiebte von 42 bis 49 und von 49 bis 56. Sie lassen sich nicht ganz scharf voneinander trennen. Aber ich beobachte bei Frauen in den Vierzigern oft eine Art Vorbereitung auf die Reifezeit ihres Lebens, die in den Fünfzigern beginnt und in eine weitere Lebensphase nach dem 56. Lebensjahr führt, die ich gerne als „dritte Pubertät“ bezeichne.

 

Eine dritte Pubertät? Das müssen Sie genauer erklären.

Pubertät bezeichnet nichts anderes als die Phase eines Wechsels. Dabei geht es um Abschied und Neubeginn auf einem neuen Level. Die erste Pubertät – in meiner Jugend – markiert den Abschied von meiner Kindheit. Ich höre den Ruf meines Lebens und traue mich, volljährig geworden, ins Leben hinaus. Damit ist es aber nicht getan.

Während der zweiten Pubertät zwischen 35 und 42 habe ich vielleicht eigene Kinder, wahrscheinlich meldet sich nun auch mein inneres Kind. Ich komme in Kontakt mit meinen alten Glaubenssätzen und Mustern. Jetzt gilt es zu erkennen, dass alles mit mir zu tun hat. Bin ich bereit – aus meiner vielleicht verletzten Seele –, den Schritt ins bewusste Ich zu machen und die volle Verantwortung für mein Leben zu übernehmen?

In den Fünfzigern bin ich mit dem Älterwerden konfrontiert. Mit den Wechseljahren verabschiede ich mich aus dem Familienzyklus, und mit dem oft in diese Zeit fallenden Tod meiner Eltern erhält mein eigenes Kindsein eine neue Dimension. Dieser Lebensabschnitt ist vorstellbar als dritte Pubertät. Nun braucht es eine erneute innere Wendung hin zu der zentralen Frage: Was ist wesentlich? Die Frage sucht nach dem Motiv meines Lebens. Bin ich bereit, meinem Zukunfts-Ich zu begegnen? Die Beschäftigung mit derartigen Fragen ist nicht immer einfach, aber wer sich ihnen stellt, erlebt diese Lebensphase als Jahre der Befreiung.

„Das ist ein wundervolles Gefühl: Ich bin auf dem Weg zu meiner Authentizität.“ Susanne Hofmeister

Und wenn die Entwicklung stagniert?

Dann hängen wir Frauen schnell in einem Prinzessinnen-Syndrom. Wir wollen unbedingt schön bleiben, das Altern und Reifen anhalten. Das ist ein eher passiver Modus, der sich stark am Aussen orientiert. Dabei könnten wir doch jetzt von der Prinzessin zur Königin werden! Die Königin weiss, wer sie ist, und gestaltet ihr Leben nach ihren Vorstellungen. Sie hat Charisma – und weniger Falten als eine alternde Prinzessin. Wie das? Solange ich mich darauf konzentriere, jung und schön zu bleiben, muss ich alles kontrollieren, das ist anstrengend und zeigt sich auch in meinem Gesicht. Wenn ich dagegen meiner selbst bewusst geworden bin und Schicksalsvertrauen entwickelt habe, kann ich loslassen. Souveräne Gelassenheit ist die beste Kosmetik.

„Charisma gehört zur älteren Frau. Die charismatische Frau hat die Chance, die Gegenwart für die Zukunft zu verlassen und etwas in Bewegung zu setzen.“ Susanne Hofmeister

 

Brauchen wir mehr dieser Königinnen – auch als gesellschaftliche Vorbilder?

Ja, denn das sind kraftvolle Frauen, deren Selbstermächtigung auch für andere inspirierend sein kann. Ich denke da zum Beispiel an Michelle Obama, die nach dem Ende der Präsidentschaft ihres Mannes nicht etwa abtaucht, sondern mit 54 Jahren in ihrem Buch „Becoming“ ins Rampenlicht tritt. Sie beschreibt ihren persönlichen Weg aus einer eher passiven Rolle in der Ehe hinein in die Kraft der Selbstermächtigung zu einer Partnerin auf Augenhöhe und äussert sich jetzt auch politisch. Und ich denke an Hilde Domin, die mit 50 Jahren ihren ersten Gedichtband veröffentlicht und bis ins hohe Alter literarisch aktiv bleibt. Beide zeigen, welches Potenzial die Wechseljahre freisetzen können.

Dieses Potenzial beschränkt sich aber oft auf private Vorhaben oder ehrenamtliches Engagement, es könnte stärker gesellschaftlich spürbar werden. Denn vor allem das Jahrsiebt von 49 bis 56 ist die Zeit der grossen Führungspersönlichkeiten. Ich glaube, man müsste Frauen stärker ermutigen, sich nach der Lebensmitte noch einmal ganz deutlich einzubringen. Das wäre dann sozusagen eine reife Emanzipation.

„Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ Hilde Domin

 

Noch einmal etwas zu bewegen, kostet Kraft. Wo kommt die Kraft jetzt her?

Es gibt für jede Lebensphase die passenden Kraftquellen, wobei ausreichend Schlaf, regelmässige Bewegung, eine gesunde Ernährung, wenig Kaffee und Alkohol, kein Nikotin immer dazugehören. Diese goldenen Regeln werden in den Wechseljahren wichtiger. Spaghetti nach 22 Uhr sind jetzt keine so gute Idee mehr. Aber wir ziehen auch Kraft aus anderen Quellen: In den Vierzigern kann ich Kraft daraus schöpfen, das Mögliche im Blick zu behalten und aus allem etwas zu lernen. Ich nenne es „standhafte Bescheidenheit“. Ab Mitte 50 entwickle ich einen neuen Sinn für die tieferen Zusammenhänge. Es fällt mir jetzt leichter, zu verzeihen, Dankbarkeit zu empfinden und zu zeigen. Das gibt eine ungeheure Kraft, weil es immer freier um mich herum wird. Und dann rollt die Welt den roten Teppich für mich aus.

 

Die Kraft des Verzeihens – das klingt, als ob auch andere davon profitieren …

Das ist tatsächlich eine Kraft, die mir und anderen zugutekommt, die neue Räume eröffnet – in der Partnerschaft, in der Familie, im Job. Durch Verzeihen wird der Weg frei für echte Toleranz.

In der Partnerschaft wird Toleranz mit den Wechseljahren immer wichtiger. Denn die Frauen erleben ein erstarkendes Selbstbewusstsein, einen Aufbruchsgeist, während für die Männer jetzt der Gefühlsraum an Bedeutung gewinnt und sie gerne die Zweisamkeit geniessen wollen. Also quasi eine Umkehr der Rollen. Hier hilft ein Verständnis für diesen Perspektivwechsel, das Kompromisse möglich macht. Kompromisse, ohne sich selbst zu verleugnen. Auch die Beziehung zu den alten Eltern und zu erwachsenen Kindern kann mit den Wechseljahren eine neue Ebene erreichen. Das ist ein Riesenthemengebiet, bei dem uns die Kraft des Verzeihens und des Loslassens von Erwartungen gute Dienste leistet.

„Was wir brauchen, ist, verschiedene Meinungen auszuhalten, nicht zu schweigen, nicht nur mit Menschen zu sprechen, die unserer Meinung sind. Das wäre eine Aufgabe für Menschen in den Wechseljahren.“ Susanne Hofmeister